Besetzung
Regie
Ausstattung
Dramaturgie

Andri
Barblin
Lehrer
Mutter/
Senora
Pater/
Doktor 
Soldat
Wirt/ 
Tischler
Geselle/
Jemand
Idiot
Corinna Bethge
Susanne Schwieter
Uwe Gössel/Axel Preuß

Marko Dyrlich
Christina Dom
Alexandre Pelichet

Simone Mende

Ronald Funke
Ulrich K. Müller

Siegfried Kadow

Richard Barenberg
Florian Hacke

Presse
Wahnsinn im Wasserglas. Andorra lehrt vom Abschied der Moral. ... Für die Mechanismen, mit denen eine Gesellschaft sich selbst Orientierung und Identität verschafft und jeden Unkonformen stigmatisiert, hat Regisseurin Corinna Bethge ein überwältigend eindrückliches Sinnbild gefunden: Die Andorianer sind ein Ballsport-Team, ihr Alltag besteht aus Ertüchtigung und Training, das Leben funktioniert durch Drill und Spaß – und durch unbedingtes Wirgefühl. Dieser Einfall der Regisseurin ist genial: Er holt das Banale ebenso hervor wie das Böse, indem die Sieger ganz harmlos mit Sportsgeist geschlossener, mannhafter, unnachgiebiger, kämpferischer und einfältig gegen die Verlierer ihre Treffer schießen, gegen das Nachgiebige und Versöhnliche im Menschen. Und diese Anlage vermittelt zugleich das aktuelle Motto unserer Zeit – stark durch Leistung – , indem nur die Anpassungsfähigsten eine echtes Lebens- und Gesellschaftsrecht haben. Die Wirkung dieser Anlage ist enorm. Plastisch tritt zutage, wie im prototypischen Kleinbürgertum unheilvoller Wahnsinn wächst.
Während Ronald Funke als gutmeinender Pater und Doktor mit praktikabler, wenn auch ungenügender Menschenkenntnis den Trainer mit dem letzten Wort gibt, von kuschenden bis aggressiven Mitläufern (eindringlich: Ulrich Müller als militanter Rädelsführer und Frauenheld) umgeben wird, fallen andere ins Ghetto der Passivität: Christina Dom als Schwester und Geliebte des Helden wird vom Abgrund der Ohnmacht geradezu eingesogen, Alexandre Pelichet als Vater geht an seinen vielen Notlügen zugrunde, und Marko Dyrlich in der Hauptrolle scheitert zuletzt tragischerweise durch seine Anpassungsfähigkeit. Alle meinen Gutes und bewirken gerade deshalb Böses, nur die Mütter (in beiden Rollen eine herausragende Simone Mende) wissen es besser, haben aber in der Männergesellschaft nichts zu melden.
Auf Wunsch von Lehrern soll das Volkstheater
Andorra auf den Spielplan gesetzt haben. Und was diese Inszenierung vermittelt ist hochgradig lehrstückhaft: Sie zeigt wie gut disponiertes Schauspiel funktioniert, wozu ein Bühnenbild (Susanne Schwieter) taugt, was aus einem Bühnentext gemacht werden kann.
> Kulturspiegel 02/2002
Untersuchung an der Grenze zwischen Spiel und Gewalt. ... Andorra ist ein Modell, so Frisch. Es zeigt die Mechanismen der Verdrängung eigenen Fehlverhaltens, die Entwicklung sozialer Lügen bis zur Auslöschung von Menschen. Die Figuren sind typenhaft, können aber als lebendige Menschen dargestellt werden, was in Corinna Bethges Inszenierung fabelhaft gelang.
Eine besondere Aufgabe stellte sich für jene, denen zwei Rollen aufgetragen waren: Siegfried Kadow als Tischler und Wirt z.B. imponierte durch sein Spiel mit dieser Verdopplung. Ronald Funke war als Doktor und Pater ein Garant des Erfolgs. Die Hauptrollen waren mehr als adäquat besetzt: Die Gestaltung von Andris Halbschwester Barblin, ihre seelische Zerstörung durch Andris Schicksal, war eine der besten Leistungen Christina Doms. Marko Dyrlich als Andri war zu jedem Zeitpunkt glaubhaft. Den Lehrer, der in Büchern Fehler angestrichen hatte, selbst aber an einer Lebenslüge scheitert, gab Alexandre Pelichet hervorragend.
Corinna Bethge versetzt das Geschehen in eine Turnhalle, sieht Parallelen zwischen der Auseinandersetzung zweier Mannschaften und der Konfrontation von Weißen und Schwarzen. Die internen Kämpfe und ihre psychologische Grundierung bildet sie auf einem Siegerpodest ab; wer gerade „oben auf“ ist, steht auch oben.
Wie schon in Spieler (2001) untersucht Bethge die Grenze zwischen Spiel und Gewalt. Die Inszenierung von
Andorra lässt eine Differenz zwischen beiden erkennen, die die Zuschauer anregen kann und es auch tut. Wenn der Schluss auch etwas holperte, war diese Inszenierung in Durchdachtheit und Gestaltung eine Wohltat.
> Norddeutsche Neuste Nachrichten (NNN), 14.01.2002
Überzeugende Provokation. ... Wenn schon in die Gegenwart holen, dann auch das provozierende des Stücks neu schärfen – radikal, aber auch künstlerisch überzeugend. Mit diesem Grundsatz hat Regisseurin Corinna Bethge das Schauspiel Andorra von Max Frisch (1911-1991) am Volkstheater inszeniert. Heraus kam eine in ihrer szenischen Sprache drastische und zugleich sehr sensible, in allem überzeugend zugreifende Produktion. Überzeugend nicht zuletzt auch im Schauspielerischen: Marko Dyrlich gibt der männlichen Hauptrolle berührend sensible Kraft, Christina Dohm ist als Mädchen Barblin mit wunderbarer Intensität zu erleben, und Simone Mende (in beiden Mütterrollen) bietet mit ihrem Mienenspiel funkelnd-spaßige Variationen auf das, was der Kleinbürger unter Fassung bewahren versteht. ...
Auf der Bühne im Stadthafen tritt die komplette Männergesellschaft
Andorras im Laufschritt als Fußballmannschaft auf, im Sportdress mit aufgedruckten Figurenbezeichnungen. Angeführt werden sie durch den Pater bzw. Doktor mit Trillerpfeife. Die ganze Stückhandlung in einer Sportveranstaltung: Das ist jener Bereich, in dem die Hauptfigur Andri zuallererst Ausgrenzung erfährt; auch jener, in dem sich die Andorraner besonders als Pöbel konstituieren, mit Macho-Posen und Freund-Feind-Klischees. Bestens passt die absurde Situation zum ironischen Schwarz-Weiß-Rahmen von Frischs Text. Andorraner sind die Weißen, die Schwarzen leben im mächtigen, aggressiv drohenden Nachbarreich. ...
In der Rostocker Fassung wurde das Ende des ersten Bildes, ein vorausgreifendes Resümee, ans Ende des Stückes verschoben. Ohne Frischs frühen epischen Einschub bleibt der Zuschauer einige Zeit im Unklaren über Andris wahre Herkunft. ... Außerdem ermöglicht diese Verschiebung ein eindrucksvolles Schlussbild: Während die Kerle am Kiosk bei einer Büchse Bier in unschuldsvoller Rückschau sich gegenseitig die weißen Westen stärken, sitzt Simone Mende vorn am Bühnenrand und imitiert andachtsvolle oder skeptische oder besinnlich lächelnde – jedenfalls unpassende – Mienen aus dem Publikum.
> Ostsee Zeitung 14.01.2002